16 synoptische Kärntner Minidialoge
Nicht Blut und Boden speisen unsere Identitätskonstruktionen, sondern die Geschichten, die wir einander erzählen. Auseinandersetzungen und selbst Kriege wurden und werden oft weniger um physische Ressourcen als vielmehr um kollektive Erzählungen geführt. Siegreich ist, wessen Erzählung letztendlich triumphiert und die Anderen zum Schweigen bringt. Wenn ein solcher Prozess „erfolgreich“ ist, werden am Schluss alle ärmer. Wir verlieren alle Nuancen und Zwischentöne und finden uns in einer holzschnittartigen Karikatur unserer selbst wieder. Das tiefe Bedürfnis nach Individualität und Einzigartigkeit bleibt unbefriedigt und alle Beteiligten werden zu Opfern einer allgemeinen Verödung.
Der britische Neurologe und Schriftsteller Oliver Sacks schreibt dazu: „Jeder Mensch ist eine einzigartige Erzählung, die fortwährend und unbewusst durch ihn und in ihm entsteht – durch seine Wahrnehmungen, seine Gefühle, seine Gedanken, seine Handlungen und nicht zuletzt durch das, was er sagt, durch seine in Worte gefasste Geschichte. Biologisch und physiologisch unterscheiden wir uns nicht sehr voneinander – historisch jedoch, als gelebte Erzählung, ist jeder von uns einzigartig.“
Aus diesem Grund machte sich das Projektteam „Geschichtensammelstelle“ auf die Suche nach vielschichtigen und komplexen Erzählungen in Kärnten, die helfen können, jene Dichotomien in Frage zu stellen, die in diesem Land noch immer von vielen Verletzungen zeugen.
So ist eine Zusammenschau gelebter und intergenerationeller Erzählungen entstanden, die möglicherweise zu unerwarteten Neuformulierungen führen können.
In sechzehn halbstündigen Dialogen sprechen neun Frauen und sieben Männer über ihr Verhältnis zu Kärnten und über den Einfluss der Kärntner Zeitgeschichte auf ihr jeweiliges persönliches Leben.
Die Hälfte dieser Gespräche sind intergenerationell oder innerfamiliär angelegt: Das heißt, es sprechen beispielsweise Mutter und Sohn, Tochter und Vater, Mutter und Tochter, Sohn und Vater oder Ehefrau und Ehefrau miteinander. Jede Person spricht also jeweils einmal ins eigene Familiensystem hinein und einmal mit einer Person außerhalb desselben. So entsteht ein „ErzählReigen“.